Kurze Einführung in System DynamicsAllgemein

Einordnung als Methodik

System Dynamics ist eine auf der allgemeinen Systemtheorie und Regelungstheorie bzw. Kybernetik aufbauende Methodik, welche in dynamischen, komplexen Situationen eine wirksame Entscheidungsunterstützung bietet. Diese Situationen zeichnen sich sowohl durch verzögerte Ursache-Wirkungs-Beziehungen als auch durch Rückkopplungsbeziehungen zwischen einzelnen Variablen aus. Intuitive Entscheidungen führen unter solchen Rahmenbedingungen oft zu unerwünschten Ergebnissen oder nur kurzfristigem Erfolg.

Um Handlungsfolgen in dynamisch-komplexen Entscheidungssituationen besser abschätzen zu können, unterstützt System Dynamics Entscheidungsträgerinnen und -träger, qualitativ die Beziehungen zwischen einzelnen Systembestandteilen zu identifizieren. Darauf aufbauend erlaubt es der Ansatz, formale, mathematische Modelle zu entwickeln und mit dem Computer zu simulieren. Damit sind nicht nur Erkenntnisse über die Struktur eines Problems möglich, sondern insbesondere Analysen des aus dieser Struktur resultierenden Verhaltens. Auf diese Weise können sowohl kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen von Entscheidungsregeln in unterschiedlichen Umweltszenarien in virtueller Realität ermittelt werden.

Die Besonderheit von System-Dynamics-Modellen liegt darin, dass Feedbackbeziehungen und Zeitverzögerungen in Ursache- und Wirkungsbeziehungen explizit durch Akkumulationsprozesse berücksichtigt werden. Die im Zuge einer Modellierung unabdingbare Vereinfachung der Wirklichkeit hat nach dem System Dynamics-Paradigma dort ihre Grenze, wo Feedbackbeziehungen durchtrennt würden. Den wesentlichen Unterschied zu den stärker qualitativ ausgerichteten Strömungen des Systemdenkens stellt der Einsatz formaler Modelle und die Anwendung von Computersimulationen dar.

Geschichte

Konzipiert wurde System Dynamics Anfang der 50er Jahre von Jay Wright Forrester an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology. Im Jahre 1957 wurde die dortige System Dynamics Group gegründet.

In den Anfängen dominierten Modelle, die von Sachkundigen mit großer Modellierungsexpertise speziell für Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen entwickelt wurden. Dabei handelte es sich einerseits um hochaggregierte wissenschaftliche oder sehr umfangreiche in erster Linie für die wirtschaftliche Anwendung erstellte Modelle. Eine speziell auf die System-Dynamics-Syntax zugeschnittene Software (DYNAMO) stand hierbei zur Verfügung. Mit der Verbreitung leistungsfähiger PCs sowie intuitiv bedienbarer Simulationssoftware finden verstärkt kleinere Simulatoren Einsatz, die häufig durch die Entscheidungsträgerinnen und -träger selbst oder in enger Zusammenarbeit mit ihnen erstellt werden. Der partizipatorische Modellierungsansatz ist allgemein unter „Group Model Building“ bekannt. Der Prozess der Modellentwicklung und -analyse erweisen sich dabei als effektive Kommunikations- und Lernprozess für ein verbessertes Systemverständnis. Anwendungen erstrecken sich auf betriebs- und gesamtwirtschaftliche, naturwissenschaftliche, psychologische und gesellschaftliche Fragestellungen.

System Dynamics und Systemdenken

System Dynamics ist eine Methodik, die Entscheidungsträgerinnen und -träger dabei unterstützt, mittels qualitativen Systemdenkens und quantitativer Systemsimulation ganzheitlich zu denken, um daraus bessere Entscheidungen treffen zu können. Systemdenken bezeichnet einen qualitativen Ansatz, der es in Entscheidungssituationen ermöglicht, mit Hilfe von Kausaldiagrammen Zusammenhänge ganzheitlich zu betrachten. Es ist ein Rahmenkonstrukt, mit dessen Hilfe Wechselbeziehungen anstelle linearer Ursache-Wirkungsketten identifiziert werden können. Die explizite Darstellung von Systembestandteilen und der zwischen ihnen bestehenden komplexen Wirkungsbeziehungen hilft, das oft kontraintuitive Verhalten komplexer, dynamischer Systeme zu verstehen.

Zwar kann Systemdenken die Existenz und Struktur von Systemen abbilden und ein tieferes Systemverständnis ermöglichen. Eine ausführliche Systemanalyse oder die Gestaltung von Entscheidungsregeln zur zielorientierten Einflußnahme auf das Systemverhalten kann sich bei einer ausschließlich qualitativen Analyse jedoch schwierig gestalten, da das dynamische Zusammenspiel der Systemelemente und ihre Verhaltensweisen nicht vollkommen verstanden werden können. Erst die Quantifizierung des Systems, wie sie im System-Dynamics-Ansatz erfolgt, vermag es, die Komplexität zu bewältigen und die Voraussetzungen für die Analyse von Ursachen beobachteter Verhaltensformen zu schaffen. Im Unterschied zum linearen menschlichen Denken können in System Dynamics die sozialen Systemen innewohnende Komplexität, Nichtlinearität und Rückkopplungsstrukturen abgebildet werden. In iterativen Modellierungsschritten werden die in einem Kausaldiagramm erstellten Wechselbeziehungen in ein quantitatives Modell, das auf mathematischen Gleichungen beruht, übertragen. Basis der mathematischen Gleichungen bietet die Integralrechnung. Verschiedene Softwarepakete unterstützen diesen Prozess und ermöglichen die Simulation des Systemverhaltens, um die aus der Struktur entstehende Dynamik zu untersuchen. Im virtuellen Raum eines Simulationsmodells können Entscheidungsträger gefahrlos und schnell unterschiedliche Entscheidungsszenarien unter variierenden Umweltbedingungen austesten, um ein tiefes Verständnis für die Konsequenzen ihres Handelns zu gewinnen und daraus bessere Entscheidungen für die Realität abzuleiten.

Verbreitung von System Dynamics in Deutschland

In Deutschland fand System Dynamics durch Forschung und Lehre am Lehrstuhl von Professor Dr. Gert von Kortzfleisch an der Universität Mannheim erste Verbreitung. Seine damaligen Mitarbeiter, Professor Dr. Dr. h.c. Peter Milling und Professor Dr. Erich Zahn, arbeiteten Anfang der 1970er in der Gruppe von Dr. Dennis Meadows am MIT an dem Modell, das die Grundlage für die Veröffentlichung der „Grenzen des Wachstums” darstellte. Diese Veröffentlichung machte die Methodik über Nacht weltbekannt. Ausgehend von der Initiative von Professor von Kortzfleisch entstanden zahlreiche Ausbildungsprogramme, um die Verbreitung von System Dynamics in Deutschland zu fördern.

Heute ist System Dynamics in Deutschland nicht nur eine im akademischen Bereich verwendete Methodik zur Analyse komplexer Fragestellungen. Neben zahlreichen Ausbildungsprogrammen und Forschungsprojekten nutzen eine wachsende Zahl an Unternehmen die Leistungsfähigkeit von System Dynamics bei der Entscheidungsunterstützung in operativen und strategischen Zusammenhängen. dafür sind Handlungsempfehlungen für Unternehmen der Luftverkehrsindustrie aus einer Analyse der Ursachen für die zyklische Entwicklung der Branche oder die Verbesserung von Materialflüssen innerhalb der Supply Chain von Industrieunternehmen.

Peter Milling gibt in dem Artikel „A brief history of system dynamics in continental Europe” einen sehr gute Überblick über die Entwicklung von System Dynamics in Europa.