DGSD-Mitglieder auf der Veranstaltung „Governing the Anthropocene: Cyber-systemic Possibilities“

DGSD-Vorstandsmitglied Hans Kasperidus und DGSD-Mitglied Yvonne Beck waren letztes Jahr auf drei Veranstaltungen, die für Interessierte der Kybernetik und Systemwissenschaft hochinteressant waren. Hier der Bericht der beiden:

Bericht über die Systemic Inquiry-Veranstaltung im Schloss Herrenhausen, der 59. ISSS-Konferenz in Berlin sowie der dazugehörigen Sommerschule „Systems Thinking in Practice in PhD-Research“

Von Yvonne Beck und Hans Kasperidus

Im Sommer 2015 reisten zahlreiche Kybernetiker und Systemwissenschaftler sowie  Praktiker auf diesen Gebieten aus aller Welt nach Deutschland, um auf zwei Veranstaltungen in einem kreativen Dialog und Gedankenaustausch über die Rolle der Kybernetik und  der Systemwissenschaften im Anthropozän, dem sogenannten Menschenzeitalter, zu diskutieren und um gemeinsam Problemlösungsvorschläge im Kontext des globalen Wandels zu erarbeiten.

  • Vom 30. – 31. Juli 2015 trafen sich im Schloss Herrenhausen in Hannover ca. 135 geladene und delegierte Experten aus 32 Ländern unter dem Motto „Governing the Anthropcene: Cyber-Systemic Possibilities?“. Als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für System Dynamics e.V. nahm Hans Kasperidus (Landschaftsökologe und Systemwissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig) teil.
  • Anschließend fand in Berlin vom 2. – 7. August die 59. Konferenz der Internationalen Gesellschaft der Systemwissenschaften (International Society of Systems Sciences (ISSS)) statt. Hier lautete das Thema entsprechend „Governing the Anthropocene: the greatest challenge for systems thinking in practice?” (siehe auch die Webseite der ISSS unter http://isss.org/world/Berlin_2015).
  • Zeitgleich fand eine international besetzte Sommerschule mit dem Titel „Systems Thinking in Practice in PhD Research: Cybersystematic Possibilities for Governing the Anthropocene“ statt, an der 27 Doktorandinnen und Doktoranden aus neun Ländern teilnahmen. Eine der Teilnehmerinnen war unser Vereinsmitglied Yvonne Beck, Doktorandin an der Hochschule Aalen.

Das Leitthema aller Veranstaltungen rankte sich um den von Paul J. Crutzen in einem Nature-Artikel von 2002 vorgeschlagenen Begriff „Anthropozän“. Es soll zum Ausdruck bringen, dass die ökonomischen und gesellschaftlichen Aktivitäten des Menschen mit ihren Auswirkungen und Veränderungen auf die Biosphäre und insgesamt auf die globale Umwelt inzwischen geologische Dimensionen angenommen haben. Daher stellt sich Frage, ob und wie weit Kybernetik und Systemwissenschaften helfen können, die negativen und bedrohlichen Folgen dieser globalen Entwicklungen zu vermeiden oder zumindest menschen- und naturverträglich zu gestalten. Es hat sich gezeigt, dass viele der bisher vorherrschenden  traditionellen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Ansätze zur Steuerung und politischen Führung der Gesellschaften global zu scheitern drohen. Komplexität und Unsicherheitsfaktoren erfordern zunehmend den Einsatz von Kybernetik, Systemansätzen und Systemdenken, um den aktuellen Herausforderungen gerecht werden zu können. Allerdings wurde der Begriff „Anthropozän“ nicht unkritisch übernommen, sondern in seiner Tragweite und Sinnhaftigkeit kritisch hinterfragt. Dazu wurde im Vorlauf der Veranstaltungen auf entsprechende Publikationen verwiesen, wie z. B. von Frank Biermann (The Anthropocene: A governance perspective. The Anthropocene Review April 2014 1: 57-6 http://anr.sagepub.com/content/1/1/57.abstract ) und Andreas Malm and Alf Hornborg (The geology of mankind? A critique of the Anthropocene narrative, The Anthropocene Review April 2014 1: 62-69. http://anr.sagepub.com/content/1/1/62.abstract).

Systemic Inquiry im Schloss Herrenhausen

Die von der Volkswagen Stiftung geförderte Veranstaltung in Herrenhausen wurde organisiert von WINS – Berlin Workshop in Institutional Analysis of Social-Ecological Systems und  Prof. Ray Ison (ISSS/Open University & Monash University). Die Hauptaufgabe war es, mit Hilfe einer „Systemic Inquiry“ die Potenziale und Einsatzmöglichkeiten der kybernetischen und systemorientierten Konzepte, Methoden und Modelle im Anthropozän herauszuarbeiten. Das Programm war so organisiert, dass ein Wechsel von Keynote- und Panelvorträgen und darauf aufbauende fortlaufende Gespräche der Expertinnen und Experten an insgesamt 16 runden Tischen stattfand. Die Zusammensetzung  der jeweiligen Teammitglieder der Runden Tische war so gewählt, dass ein hohes Maß an Diversität und Vielfalt an Disziplinen und Erfahrungswissen zusammenkam. Insgesamt gab es sieben Gesprächsrunden, bei denen verschiedenste Fragestellungen und Problemlösungsvorschläge erarbeitet werden mussten. Jeder Runde Tisch wurde von Doktorandinnen bzw. Doktoranden der Sommerschule unterstützt, um die Ergebnisse der jeweiligen Gesprächsrunden zu dokumentieren und für die spätere Auswertung aufzubereiten. System Dynamics-Ansätze und SD-Modelle wurden insbesondere von Prof. David Lane in einem Panelvortrag vorgestellt und in die weiteren Diskussionen eingebracht. Am Ende der Veranstaltung fasste jeder Runde Tisch seine Ergebnisse in wenigen prägnanten Aussagen zusammen und formulierte Empfehlungen für politische Entscheidungsträger und wissenschaftliche Fördereinrichtungen.

Weitere Information zur Veranstaltung und die Ergebnisse finden sich als Blog unter http://www.open.ac.uk/blogs/govan.

Foto (Hans Kasperidus): Systemic Inquiry  im Schloss Herrenhausen - Runder Tisch 15 in Aktion

Foto (Hans Kasperidus): Systemic Inquiry im Schloss Herrenhausen – Runder Tisch 15 in Aktion

ISSS-Konferenz in Berlin

Auf der ISSS-Konferenz in Berlin begrüßten der amtierende ISSS-Präsident Prof. Ray Ison und der ISSS Vizepräsident für Konferenzen Dr. Louis Klein etwa 240 internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer, von denen etliche auch auf der Veranstaltung im Schloss Herrenhausen dabei waren. Damit war die diesjährige Konferenz beachtlich größer als in den vergangenen Jahren, was auch daran lag, dass die Amerikanische Gesellschaft für Kybernetik ihre Jahrestagung integriert hatte. Bemerkenswert war auch die Beteiligung aus dem deutschsprachigen Raum mit etwa 13 %. Neben Plenarvorträgen, für die hochkarätige Keynote-Redner gewonnen werden konnten, wie z. B. Prof. Mary C. Bateson, Prof. Ockie Bosch und Prof. Noam Cook, gab es zahlreiche Parallelsessions, die von den ISSS-spezifischen Special Integration Groups (SIGs) organisiert wurden. Im ISSS-Kontext sind SIGs spezielle Integrationsgruppen, die aus den kollektiven Interessen der ISSS-Mitglieder gebildet werden. SIGs treiben die Dynamik der kreativen Erforschung  sowie die philosophische und wissenschaftliche Integration systemischer Themen voran. Dieser Ansatz macht die ISSS-Konferenzen auch für System Dynamics-Vertreter besonders interessant, obwohl Vorträge mit System Dynamics-Inhalten und Modellen klar in der Minderzahl waren. Dies ist aber insofern verständlich, da Integration und Synthese des Systemwissens mit seinen vielfältigen Ansätzen und Facetten das  zentrale Ziel der ISSS ist.  Das wird auch daran deutlich, dass die wichtigsten Organisation, die sich mit Systemwissenschaften beschäftigen als Co-Sponsoren aufgetreten sind, wie z.B. die „American Society for Cybernetics (ASC)“,  „International Council of Systems Engineering (INCOSE)“  oder unsere Muttergesellschaft die „System Dynamics Society (SDS)“. Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerschule bekamen auf der ISSS-Konferenz eine Bühne, um sich und Ihre Erfahrungen und Ergebnisse vorzustellen.

Fazit: Es wurde auf beiden Veranstaltungen deutlich, dass System Dynamics bei den aktuell praktizierten Systemansätzen nur einer unter vielen ist.  Deutlich wurde aber auch, dass System Dynamics mit seinem expliziten Einsatz von Computersimulationsmodellen ein einzigartiges und wichtiges wissenschaftliches und praxisorientiertes Instrument sein kann. Insgesamt haben beide Veranstaltungen eine immense Horizonterweiterung auf dem Gebiet der Systemwissenschaften gebracht und neue Perspektiven, Optionen und potentielle Kooperationspartner für zukünftige Aktivitäten eröffnet. Schade ist nur, dass 2016 die 34. Internationale Konferenz der System Dynamics Society in Delft und die 60. ISSS-Konferenz in Boulder mehr oder weniger zu gleichen Zeit stattfinden. Da hilft nur Klonen oder die richtige Entscheidung treffen.

Sommerschule Systemic Thinking and Practice

Die Sommerschule wurde von Prof. Hagedorn und Dr. Thomas Aenis von der Humboldt Universität (HU) Berlin organisiert und von den erfahrenen Systemwissenschaftlern Prof. Ray Ison, Dr. Chris Blackmore und Prof. Nadarajah „Sri“ Sriskandarajah  praktisch durchgeführt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bot sich die einmalige Möglichkeit, mit Experten aus Wissenschaft und Praxis, die sich explizit mit Systemansätzen beschäftigen, in einen direkten Erfahrungs- und Wissensaustausch zu treten. Dies war besonders bei der Unterstützung der Gespräche an den Runden Tischen in Herrenhausen gegeben, da dort eine besonders intensive Einbindung in gruppendynamische Prozesse gegeben war. Hier konnte man aktiv an den Diskussionen der Experten mitwirken und sowohl Vielfalt der Ansichten und Perspektiven als auch gemeinsam vertretene Positionen kennenlernen.

Foto (Hans Kasperidus): Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerschule stellen ihre Erfahrungen und Ergebnisse auf der ISSS-Konferenz vor

Foto (Hans Kasperidus): Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerschule stellen ihre Erfahrungen und Ergebnisse auf der ISSS-Konferenz vor

Das Wochenende wurde gemeinsam an der Humboldt Universität verbracht, bei dem bei hochsommerlichen Temperaturen diverse Methoden der Systemanalyse (hard and soft systems methods) vorgestellt und praktisch eingeübt wurden. Außerdem wurden die neu kennengelernten Methoden und das neue Wissen in den Forschungskontext  der eigenen Doktorarbeit gebracht. Danach waren auch Neulinge gut auf die ISSS-Konferenz eingestimmt, um sich über Systemtheorie und –praxis zu informieren und Netzwerke zu knüpfen.

Fazit: Die Sommerschule war eine hervorragende Möglichkeit, um die eigenen Blickwinkel zu erweitern, und die Welt über systemisches Denken besser zu verstehen. Der Kurs soll auch in Zukunft weitergeführt werden, um Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern einen Zugang zu Systemdenken und Systempraxis zu vermitteln. Für Praktizierende der System-Dynamics-Welt bietet sich die Möglichkeit, ihre Arbeit im weiteren Kontext des Systemdenkens einzuordnen.

 

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